DI Franz Steiner ist als Koordinator für Software-Lokalisierung in der Produkt- und Systemdokumentation bei der Firma AVL List in Graz, einem der weltweit führenden Unternehmen für Mobilitätstechnologie, unter anderem auch für das Terminologiemanagement (mit-)zuständig. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen beim Aufbau eines erfolgreichen Terminologiemanagements.
Bitte stelle dich und deine Position bei der AVL vor.
Ich bin Senior Coordinator Software Localization bei der AVL List GmbH in Graz – so steht es auf meiner Visitenkarte. Ich habe ein neusprachliches Gymnasium (8 Jahre Englisch, 6 Jahre Latein, 4 Jahre Französisch) besucht und dort meine Leidenschaft für Sprache entdeckt. Im Anschluss erfolgte das Studium der Elektrotechnik an der TU Graz, welches ich als Diplom-Ingenieur abschloss. Nach meinem Studium habe ich im Jahr 1987 bei der AVL als Technischer Redakteur begonnen, was damals noch ziemlich unbekanntes Terrain war. Im Laufe der Zeit habe ich eine Dokumentationsabteilung aufgebaut und auch längere Zeit geleitet, ehe ich schließlich die Stelle als Koordinator für Software-Lokalisierung übernahm. In dieser Funktion bin ich gemeinsam mit Klaus Baumgartner (Abteilungsleiter Produkt- und Systemdokumentation) auch für das Terminologiemanagement im Unternehmen zuständig.
Wann hast du die Leidenschaft für Terminologiemanagement entdeckt und hast du eine einschlägige Ausbildung in diesem Bereich?
Unbewusst habe ich diese Leidenschaft schon sehr früh gehabt, wahrscheinlich schon im Gymnasium, richtig bewusst dann vor etwa 20 Jahren bei der AVL. Ich habe keine spezifische Ausbildung, also weder einen Lehrgang noch ein Studium in diesem Bereich absolviert, sondern punktuell viele Vorträge, Workshops, Literatur und dergleichen zu diesem Thema aufgesogen und auch selbst Seminare und Workshops gehalten. Ganz wichtig war mir auch immer der Austausch mit Gleichgesinnten, beispielsweise bei Symposien und Tagungen oder auch online.
Welche terminologische Ausgangssituation hast du bei der AVL vorgefunden? Gab es bereits ein Bewusstsein in Hinblick auf Terminologiemanagement im Unternehmen?
Das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Terminologiemanagement war bei der AVL definitiv vorhanden, aber es gab lediglich „Insellösungen“. Einzelne Bereiche hatten für sich Excel-Listen, die mal mehr und mal weniger gepflegt wurden. Es gab keine (zentrale) Koordination, wie das heute der Fall ist. Es war also Luft nach oben vorhanden.
Wie sah der Prozess (Einführung Terminologiemanagement) bei der AVL aus?
Es gab mit TermStar (Bestandteil des Translation-Memory-Tools Transit der Firma Star) zwar schon sehr früh ein Terminologietool im Unternehmen, welches aber nicht genutzt wurde. Der echte Beginn war dann 2004 mit einer Diplomarbeit zum Thema Evaluation von Terminologieextraktionsverfahren und einer Potentialanalyse „Terminologiemanagement“. 2009 und 2010 folgten zwei weitere Diplomarbeiten. So richtig los ging es dann aber erst 2014 mit dem Tool [i]-match. Das war im Zuge der Neuausrichtung der Technischen Dokumentation. Man kann sagen, da war der interne Leidensdruck dann groß genug, dass wir uns ernsthaft mit dem Thema Terminologiemanagement auseinandergesetzt und es in Angriff genommen haben. Die Schwierigkeit lag meiner Ansicht nach darin, „die (durch die Vorarbeiten vorhandenen) PS auf die Straße zu bringen“. Neue bzw. zusätzliche Projekte wie eben z. B. Terminologiemanagement sind in aller Regel schwer vor dem Management zu argumentieren. Da Terminologiearbeit aber sowieso täglich passiert (allerdings meist unbewusst, unkoordiniert und vor allem nicht systematisch), sind wir dann dazu übergegangen, bei Projekten einen gewissen Umfang an Terminologiearbeit mit einzukalkulieren. Durch diese Systematisierung und die Erstellung eines Prototypen konnte die Sinnhaftigkeit eines professionellen Terminologiemanagements schnell allen klar gemacht werden.
Welche Learnings kannst du daraus ziehen? Was würdest du heute anders machen oder war alles so richtig für dich?
Rückblickend betrachtet würde ich sagen, dass wir zum einen früher und intensiver mit diesem Aufzeigen des Nutzens bzw. des Wertes von professionellem Terminologiemanagement beginnen und in Sachen Toolauswahl noch genauer hinschauen hätten sollen. Ich würde heute nur noch mit einem Anbieter reden, mit dem ich mich als Terminologe auf Augenhöhe unterhalten kann.
Wie betreibt ihr derzeit bei der AVL Terminologiemanagement, mit welchen Tools arbeitet ihr?
Wir verwenden seit circa einem Jahr QTerm. Konkret: Wir Administratoren betreiben Terminologiemanagement direkt in QTerm. Via memoQ können die Übersetzer die Termdatenbank während ihrer Arbeit nutzen. Des Weiteren nutzen wir das Lookup-Tool, um die Terminologie firmenweit zugänglich zu machen. Die Nutzer können darin auch Feedback geben und Terme beantragen.
Wir haben bei der AVL zwei Terminologiekreise, einen „inneren“, der aus Klaus Baumgartner und mir besteht, und einen „äußeren“. Klaus und ich treffen einander mindestens zwei Mal pro Monat für mehrere Stunden und erstellen Term-Kandidatenlisten und/oder arbeiten Kandidatenlisten – auch aus anderen Bereichen – auf. Dann erfolgt die Eingabe in QTerm. In der Praxis funktioniert das bei uns so, dass wir Englisch und Deutsch gleichzeitig aufnehmen. Dadurch ergibt sich ein Synergieeffekt. Wo immer notwendig und sinnvoll, fügen wir eine Definition und/oder ein Bild hinzu. Aus pragmatischen Gründen sind Definitionen bei uns nur in Englisch und stehen auf der Begriffsebene.
Der „äußere“ Terminologiekreis ist etwas größer, bezieht unterschiedliche Bereiche des Unternehmens ein und trifft sich alle vier Wochen für eine Stunde. In den Meetings finden Terminologieklärungen (ggf. unter Beiziehung eines Experten für ein bestimmtes Fachgebiet) und auch Schulungen statt.
Wie spielt da deine Rolle als Koordinator für Software-Lokalisierung hinein?
Ich „sitze“ mitten in der Entwicklung. Terminologiearbeit muss meiner Meinung nach dort beginnen, wo die Terminologie entsteht. Bis eine Dokumentation für den Benutzer erstellt wird, sind im Vorfeld schon so viele Dinge passiert, da ist auch die Terminologie schon entstanden. Je später man dann mit dem Vereinheitlichen bzw. Anpassen beginnt, desto schwieriger wird es, die Terminologie sauber zu bekommen und zu halten. Ich habe in der Software-Lokalisierung Zugriff auf den Sourcecode und kann direkte Änderungen machen, auch terminologische. Ich schaue mir einmal wöchentlich an, was sich bei den UI-Texten geändert hat, prüfe, ob die Richtlinien eingehalten worden sind und nehme ggf. Korrekturen vor. Dabei ist auch die Termdatenbank ständig geöffnet, ich verwende sie als Nachschlagewerk und bringe bei Bedarf neue Termvorschläge ein. Die Konsequenz: Englisch und Deutsch sind in Ordnung, bevor das Dokumentationsteam überhaupt mit der Erstellung der Dokumente für den Benutzer beginnt.
Welche Vorteile bringt ein effizientes Terminologiemanagement?
Die Vorteile liegen auf der Hand:
- einheitlich(er)e Sprache durch terminologische Konsistenz (Stichwort Corporate Language)
- geringere Übersetzungskosten (mehr 100%-Matches, weniger Rückfragen)
- weniger Rechercheaufwand
- weniger Verwirrung bei Anwendern und dadurch Entlastung von Hotline/Helpline
- bessere Usability und dadurch bessere User Experience
Wer profitiert am meisten von erfolgreichem Terminologiemanagement?
Ich würde sagen: So gut wie alle in der Firma, besonders profitieren natürlich die Dokumentations-, Übersetzungs-, und Software-Lokalisierungsabteilung, die Produktentwickler und die Produktmanager. Aber auch der Kunde profitiert davon. Er wird sich zwar nicht denken, „Ah, die Firma AVL betreibt eine tolles Terminologiemanagement“, aber er wird sich wahrscheinlich freuen, dass die Bedienoberflächen der verschiedenen Software-Produkte und die zugehörigen Benutzerdokumentationen „wie aus einem Guss“ wirken. Und er ist dann hoffentlich so zufrieden, dass er wieder bei uns kauft.
Welche Ratschläge hast du für Mitarbeiter einer technischen Dokumentation, die ein erfolgreiches Terminologiemanagement einführen wollen? Wo fängt man an, wo holt man sich Rat und wer kann dabei helfen?
Ich würde raten, zunächst einmal Theorie zu pauken und einen Termdatenbank-Prototyp zu bauen. Das ist mithilfe von Evaluierungslizenzen gut möglich. Aus meiner Erfahrung heraus lässt sich im Terminologiemanagement die alte Häuselbauerweisheit, „Erst beim 2. Mal baut man richtig“, anwenden. Mit dem ersten Tool sammelt man Erfahrungen und beim zweiten weiß man dann erst richtig, was man braucht und wie’s geht. Wenn man sich dessen bewusst ist, erspart man sich viel Frust. Aus meiner Sicht ist es auch sinnvoll, nicht zuerst das Tool zu kaufen. Und: Ich kann nur empfehlen, sich Verbündete zu suchen, die mit einem am selben Strang ziehen. Wie bereits erwähnt, sind Klaus Baumgartner und ich gemeinsam federführend im Terminologiemanagement bei der AVL. Einer alleine wäre noch längst nicht so weit. Und Spaß macht es im Team auch mehr. Verbündete im Management zu haben, ist natürlich auch kein Fehler. Und zu guter Letzt: Man sollte Kontakt zu anderen suchen, die schon Terminologiemanagement eingeführt haben. Das ist eine wertvolle Hilfe.
Wo kann man sich über laufende Entwicklungen informieren?
Hier möchte ich vor allem auf das Angebot des Deutschen Terminologie-Tags ( DTT e.V.) verweisen. Dieser bietet Symposien, Sammelordner, Seminare für Einsteiger und Fortgeschrittene und die Fachzeitschrift „edition“. Weiters zu erwähnen sind Vorträge und Workshops der tekom sowie auch die tekom-Fachzeitschrift „technische kommunikation“. Terminologie³, Termcafé und Terminologienormen sind ebenso gute Informationsquellen.
Apropos tekom und Informationsquellen: Du bist ja Präsident und Delegierter der tekom Österreich – mit welchen Anliegen kann sich ein technischer Redakteur an die tekom wenden, welche Services und Unterstützungen werden angeboten?
Bei uns gibt es Experten zu verschiedensten Themen (siehe hier), darunter natürlich auch Terminologiemanagement. Und sollten wir eine Frage nicht beantworten können, so kennen wir bestimmt jemanden, der das kann.
Schlussendlich muss erstellter Content (UI-Texte, Betriebsanleitungen etc.) in der Regel auch übersetzt werden – was ist dahingehend beim Terminologiemanagement zu beachten?
Wenn Übersetzungen im Spiel sind, halte ich sprachlich „perfekte“ Ausgangstexte für unabdingbar. Die Termdatenbank selbst sollte so aufgebaut sein, dass sie zu jedem Begriff, der unklar sein könnte, eine Definition, gegebenenfalls ein Bild und eine Sachgebietsangabe enthält. Die Übersetzung der Terminologie sollte durch technisch und sprachlich kompetente Muttersprachler erfolgen.
Welche Rolle spielt im mehrsprachigen Terminologiemanagement ein Übersetzungspartner? Inwiefern sind Systeme wie CAT-Tools und Datenbanken, sprich QTerm, hilfreich?
Übersetzungsdienstleister können eine große Hilfe sein, vor allem, weil sie in der Regel mehr einschlägige Erfahrung haben und Probleme und Notwendigkeiten kennen. Ein professionelles Terminologietool ist für ein erfolgreiches Terminologiemanagement meines Erachtens unabdingbar. Von selbstgebauten Systemen und Wikis rate ich eher ab.
Gibt es wichtige Aspekte, auf die wir in unseren Fragen nicht eingegangen sind? Wir freuen uns, wenn du uns noch ein paar Dos and Don’ts erzählst.
Ich möchte mit einem Augenzwinkern noch einmal sagen: Terminologiearbeit macht (trotz allem) meistens Spaß! Ein Sponsor im (höheren) Management ist ein großer Vorteil und ich empfinde PR in eigener Sache als wichtig. Nach dem Motto: „Tue Gutes und rede darüber!“
Und zu guter Letzt:
Aus meiner Sicht gehören in eine Termdatenbank sämtliche Begriffe, die verwendet werden und zu Missverständnissen oder Fehlinterpretationen führen können.
Danke für das Interview!
Titelbild © Michael Valent, MEINRAD