Menschliches Sprachgefühl oder Machine Translation Software? Wer wird die Übersetzungsbranche am Ende für sich erobern? Wenn es nach unserem In-House Linguisten Martin geht, dann wird die Maschine den Menschen bei Sprachdienstleistungen niemals ganz ersetzen können. Und überhaupt sei seiner Meinung nach ein Umdenken nötig: Denn wer aufhört, sich gegen neue Technologien zu wehren, kann mitunter großen Nutzen daraus ziehen.
Du gehörst bei MEINRAD zum Urgestein. Wie lange bist du schon Teil des Teams?
Seit 4 ½ Jahren bei MEINRAD, und schon wird man als Urgestein bezeichnet :)
Du bist Projektmanager und In-House Linguist. Worin siehst du heute deine wichtigsten Aufgaben?
In der Doppelfunktion als Projektmanager und In-House Linguist sehe ich mich als Bindeglied zwischen dem Kunden und unseren Freelance-Übersetzerinnen. Da ich auch selbst regelmäßig an Übersetzungen arbeite, kann ich unseren Übersetzern auch zur Seite stehen, wenn textspezifische Fragen aufkommen. Eine meiner wichtigsten Aufgaben ist demnach bestimmt, sowohl als Ansprechpartner für unsere Kundinnen als auch für unsere externen Teammitglieder zu fungieren und dabei die fachlichen Aspekte nie aus den Augen zu verlieren.
Die Digitalisierung schreitet in immer größeren Schritten voran und macht vor kaum einer Branche halt. Speziell im Bereich der Sprachdienstleistungen wurden in den letzten Jahren große Effizienzgewinne möglich. Wie hat sich die Arbeitsweise in der Übersetzungsbranche dadurch entwickelt?
Heutzutage ist es wohl kaum mehr möglich, ohne die Verwendung digitaler Hilfsmittel am Übersetzungsmarkt zu bestehen. Der Bedarf an Sprachdienstleistungen weltweit steigt unaufhaltsam und technologische Errungenschaften helfen uns dabei, mit diesen Entwicklungen mitzuhalten. Natürlich bringt jede Entwicklung auch neue Herausforderungen mit sich, da gewohnte Arbeitsweisen an neue Bedingungen angepasst werden müssen. Da ist es vor allem wichtig, Neues auszuprobieren, regelmäßig Feedback einzuholen und eng mit Kundinnen und Freelancern zusammenzuarbeiten, um gemeinsam den größten Nutzen zu ziehen und den Arbeitsalltag für alle einfacher zu gestalten.
Inwiefern hat sich dadurch dein eigener Arbeitsalltag verändert?
Es geht schon lange nicht mehr darum, lediglich Übersetzungsprojekte abzuwickeln und stur die Aufträge unserer Kunden zu bearbeiten. Mit der großen Vielfalt an technologischen Möglichkeiten – von der Verwendung diverser CAT-Tool-Funktionen bis hin zu Machine Translation – steigen auch die Anforderungen an unsere Dienstleistungen. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, nehmen wir neue Tools in unsere Arbeitsprozesse auf und finden somit heraus, inwiefern sie uns bei unserer Arbeit unterstützen können. Das schaffen wir als Übersetzungsbüro natürlich nicht alleine und an dieser Stelle hat sich die größte Veränderung in meinem persönlichen Arbeitsalltag ergeben. Ein wesentlicher Teil besteht im Ausprobieren verschiedener Möglichkeiten, den Arbeitsprozess effizienter zu gestalten. Hier spielt auch das Feedback – sowohl der Kundinnen als auch der Übersetzer – eine entscheidende Rolle. Nur gemeinsam und dank ihrer Mithilfe können wir diese Herausforderungen effektiv bewältigen. Natürlich erfordern neue Methoden auch Projektgruppen, Schulungen und Trainings, in denen neue Skills erlernt und perfektioniert werden.
Stichwort: Machine Translation. Was ist das und wie unterscheidet sich die maschinelle von der computerunterstützten Übersetzung?
Bei der maschinellen Übersetzung werden Texte mit einer eigenen Computersoftware automatisch übersetzt. Diese Software bedient sich dabei diverser zweisprachiger Textkorpora aus dem Internet und erzeugt einen zielsprachigen „Output“ für einen zu übersetzenden Text. Darin liegt auch der Unterschied zur „normalen“ computergestützten Übersetzung. Während Computer-Aided-Translation-Tools bisher nur mit Hilfsmitteln wie Translation Memories (TMs) oder Terminologiedatenbanken ausgestattet waren, besteht nun die Möglichkeit, ein Plug-in der Machine Translation-Engine zu implementieren, wodurch neben TMs und Datenbanken auch der Machine Translation-Output zur Verfügung gestellt wird.
Man munkelt, du warst der Technologie gegenüber anfangs skeptisch eingestellt. Was war der Grund dafür?
Die Vorstellung, dass eine Software dazu fähig sein könnte, einen so komplexen Prozess wie das Übersetzen eines Textes – hinter dem so viel mehr steckt als das bloße Übertragen von Wörtern aus einer Sprache in die andere – auf hohem Niveau durchzuführen, war für mich bis vor kurzer Zeit noch etwas zu utopisch. Jeder kennt und schmunzelt heute noch über die schlechten Übersetzungen von Google Translate von vor nicht allzu langer Zeit. In den letzten Jahren hat sich jedoch auf dem Gebiet der maschinellen Übersetzung unglaublich viel getan, beispielsweise durch die Einführung der auf neuronalen Netzwerken basierenden Übersetzung, wodurch die Qualität von Machine Translation-Output wesentlich verbessert wurde.
Wie stehst du der maschinellen Übersetzung heute gegenüber?
Obwohl ich anfangs trotz der gerade angesprochenen Entwicklungen skeptisch und unsicher war, was den Einsatz von Machine Translation im professionellen Tätigkeitsbereich betrifft, habe ich beschlossen, es einfach zu versuchen und mir selbst ein Bild davon zu machen – mit für mich teils überraschenden Ergebnissen. Ich war sehr positiv von der Qualität des Outputs überrascht. Natürlich ist die vorgeschlagene Übersetzung oft alles andere als perfekt und es kommt trotzdem noch einiges an Nachbearbeitung (Post-Editing) auf einen zu, doch nach dem Sammeln von Erfahrung kann ich mittlerweile guten Gewissens behaupten, dass Machine Translation-Output die Arbeit um einiges erleichtert.
Machine Translation eignet sich nicht für alle Sprachkombinationen und Textinhalte. In welchen Bereichen kann die Technologie derzeit gute Ergebnisse liefern?
Sehr gute Erfahrungen haben wir im Bereich der Übersetzung von Bedienungsanleitungen, Software-Online-Hilfen oder allgemeinen technischen Hinweisen gemacht. Diese Texte sind in vielerlei Hinsicht ähnlich, wodurch der Aufwand für das Post-Editing merkbar niedriger ist als er es für eine Standard-Übersetzung wäre. Natürlich darf man nicht außer Acht lassen, dass jeder Auftrag individuell zu behandeln ist und dass der Einsatz von Machine Translation bei manchen Texten nicht sinnvoll ist, zum Beispiel bei höchst technischen Fachtexten mit spezieller Terminologie oder Texten, die auf ein bestimmtes Zielpublikum abgestimmt werden müssen. Hier wäre der Aufwand für das Post-Editing definitiv zu hoch. Wesentlich für eine effiziente Abwicklung eines Post-Editing-Jobs ist auch eine gewisse sprachliche Qualität des Ausgangstextes.
Deiner Einschätzung nach: Wie werden sich die Möglichkeiten durch die maschinelle Übersetzung in Zukunft entwickeln? Welche Innovationen darf man noch erwarten?
Die technischen Möglichkeiten der maschinellen Übersetzung sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft und ich bin mir sicher, dass hier in Zukunft noch einiges auf uns zukommen wird. Ich denke, dass die Machine Translation-Engines noch besser und somit ein immer wichtigeres Hilfsmittel bei unserer Tätigkeit als Übersetzungsdienstleister darstellen werden. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass es bald möglich sein wird, TMs und Terminologiedatenbanken problemlos in Machine Translation-Engines zu integrieren, sodass der Output noch besser auf die Thematik und Kundenbedürfnisse abgestimmt werden kann.
Macht sich die Humanübersetzerin durch die Weiterentwicklung der Maschine bald selbst redundant?
Ich traue mich zu behaupten: Nein. Auch wenn Machine Translation-Engines oft schon hervorragende Qualität liefern, gibt es noch zahlreiche Aspekte, an denen eine Maschine scheitert. Ein Beispiel dafür wäre der inhaltliche Kontext, den uns die Maschine nicht bieten kann. Eine neuronale Machine Translation-Engine übersetzt auf Satzebene, was bedeutet, dass sie keine Verbindungen zu anderen Sätzen aufbauen kann. Dies führt zu fehlenden Überleitungen, inkonsistenter Terminologie und Zusammenhanglosigkeit. Das kann nur von einem Menschen angepasst werden. Eine weitere Aufgabe, an der die Maschine scheitern wird, ist die Anpassung an das Zielpublikum. Technische Daten eines Produkts bedürfen oft nur kleinen Anpassungen, aber wenn es sich um Marketing- oder Werbetexte handelt, das Zielpublikum unterschiedliche Altersgruppen und Wissensstände aufweist oder die Anforderungen und Style Guides des Kunden zahlreiche Änderungen erfordern, kann nur eine Humanübersetzerin zufriedenstellende Qualität gewährleisten.
Gibt es etwas, worin die Übersetzungsmaschine den Menschen niemals ersetzen können wird?
Es gibt nach wie vor Textsorten, die nicht für maschinelle Übersetzung geeignet sind und das voraussichtlich auch nicht so schnell werden, wie beispielsweise literarische Übersetzungen. Prinzipiell sollten wir aufhören, Angst davor zu haben, dass die Maschine den Menschen in irgendeiner Weise „ersetzen“ wird. So weit wird es nicht kommen. Wir sollten maschinelle Übersetzungssysteme nicht als Konkurrenz zur Humanübersetzung sehen, sondern als Hilfsmittel, die uns bei der Durchführung bestimmter Aufträge unterstützen kann, ähnlich wie TMs oder Terminologiedatenbanken.
Wie wird sich die Rolle der Übersetzungsagentur durch die Technologisierung verändern?
Allen Unternehmen, die Übersetzungsdienstleistungen anbieten, von der großen Agentur bis hin zum Einzelunternehmen, stehen durch die voranschreitende Technologisierung Änderungen bevor. Das beginnt beim Übersetzungs- bzw. Post-Editing-Prozess. Aber auch im Bereich des Projektmanagements muss ein Umdenken stattfinden. Zunächst muss genau definiert werden, welche Dienstleistungen von Kundinnen erwartet und von Dienstleistern angeboten werden. Übersetzerinnen/Post-Editoren müssen auf diesen neuen Prozess geschult werden, neue Rahmenbedingungen müssen geklärt werden, Tools müssen getestet und eingesetzt werden. Kurz gesagt, wir müssen alle zusammen den besten Weg finden, um effizient an die neuen Möglichkeiten und Herausforderungen heranzugehen und unseren Kunden und Kooperationspartnerinnen weiterhin Qualität auf höchstem Niveau zu bieten. Zudem gilt es, den Übersetzerinnen und Post-Editoren zu ermöglichen, den größtmöglichen Nutzen aus der Arbeit mit den neuen Tools zu ziehen. Es kommt viel Arbeit auf uns zu, aber ich freue mich darauf und bin gespannt, was die Zukunft noch bringen wird!
Die im Text gewählten personenbezogenen Bezeichnungen sollen sich ausdrücklich auf alle Geschlechter in gleicher Weise beziehen. Soweit im Text die männliche Form gewählt wurde, geschah dies aufgrund der besseren Lesbarkeit. Hintergründe zu unserer Entscheidung finden Sie in unserem Artikel So lebt MEINRAD das Thema Gleichberechtigung und gendergerechte Sprache.