Ing. Andreas Aichinger, MSc ist selbstständiger Auditor für den Bereich Medizintechnik. Im Interview spricht er über die Auswirkungen der Medical Device Regulation (MDR) und der In-vitro-Diagnostic Device Regulation (IVDR) auf Hersteller und Händler – besonders im Zusammenhang mit Übersetzungen und der ISO 13485.
Bitte stellen Sie sich und Ihren beruflichen Werdegang sowie Ihre derzeitigen Aufgaben kurz vor.
Mein Name ist Andreas Aichinger. Ich bin gelernter Chemiker und begann meine berufliche Karriere im zentralen Analyselabor eines Herstellers für pharmazeutische Wirkstoffe. Später bin ich in die Produktion gewechselt und durfte mich als sogenannter GMP-Beauftragter [Anmerkung: „Good Manufacturing Practice" – steht für die gute Herstellungspraxis von Arzneimitteln], um viele Qualitätsmanagement-Anforderungen in der Kette vom Lieferanten bis zum Kunden kümmern. Nach 13 Jahren im Pharmabereich bin ich zu einem internationalen Medizinprodukte- und IVD-Hersteller gewechselt. Ich habe das globale Qualitätsmanagement für sieben Standorte weltweit verantwortet. Seit vier Jahren bin ich nun als selbständiger Auditor im Bereich Medizintechnik (ISO13485, MDR, IVDR) im Einsatz. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr stark mit den neuen europäischen Verordnungen für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika beschäftigt und dazu auch ein Buch geschrieben.
War das schon immer ihr Traumberuf? Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit?
Zunächst nicht, da ich meine berufliche Tätigkeit anfangs eher im Labor gesehen habe. Mit zunehmender Berufserfahrung wurde mir allerdings klar, dass ich mein Wissen und meine Erfahrung auch andern Unternehmen im Sinne einer professionellen Auditdienstleistung zur Verfügung stellen könnte. Die Faszination im Qualitätsmanagement liegt aus meiner Sicht ganz generell in einer Art Vogelperspektive, die man einnimmt und einnehmen muss. Man betreut als Qualitätsmanager beispielsweise innerbetrieblich alle Bereiche/Prozesse der Wertschöpfungskette. Diesen Überblick über das Gesamtunternehmen hat in dieser Form keine andere Funktion mit Ausnahme der Geschäftsführung. In den letzten Jahren kam zusätzlich zu diesem Reiz noch die ungeheure Produkt- und Anforderungsvielfalt mehrerer zu betreuender Unternehmen dazu. Das macht meinen Beruf ungeheuer spannend.
Aus welchem Bereich kommen Ihre Kunden in erster Linie? Sind das Hersteller oder Inverkehrbringer? Oder auch Lieferanten/Stakeholder (wie MEINRAD)?
Meine Kunden kommen aus allen Funktionen: Darunter sind Hersteller und Inverkehrbringer, Händler, Lieferanten aber auch Dienstleister im Medizintechnikbereich. Der Grund dafür ist, dass die ursprüngliche Version der ISO 13485 nur für Hersteller galt, mit der großen Revision 2016 aber auf alle Akteure in der Kette ausgeweitet wurde.
Was hat sich Ihrer Meinung nach mit der MDR seit letztem Jahr verändert? Welche wesentlichen Unterschiede sehen Sie zwischen dem MDD und MDR-Verfahren?
Die MDR wurde 2017 publiziert mit einer Übergangsfrist bis Mai 2021. Sie wurde an den Stand der Technik angepasst. Das war aus meiner Sicht auch notwendig, zumal die letzte Überarbeitung der alten Medizinprodukterichtlinie im Jahr 2007 erfolgte. Ein Hauptunterschied liegt sicherlich in der Hinzunahme von Händlern als Akteure mit entsprechenden Verpflichtungen. Weiters wurden Produkte in den Geltungsbereich der MDR übernommen, die an sich keine medizinische Zweckbestimmung haben, wie etwa kosmetische Kontaktlinsen. Das bedeutet, solche Produkte unterliegen nun den vollen regulatorischen Anforderungen für Medizinprodukte.
Ein Hauptaspekt der MDR ist die Darlegung der Funktions- und Sicherheitsleistungen des jeweiligen Medizinproduktes über den gesamten Lebenszyklus. Das heißt, die Hersteller müssen in periodischen Abständen Berichte zur klinischen Sicherheit und Leistung an Behörden und Prüfstellen kommunizieren. Damit sollen Erkenntnisse und Erfahrungen zu den Medizinprodukten am Markt laufend evaluiert und berücksichtigt werden. Ein positiver Aspekt ist die Regelung der Technischen Dokumentation gemäß Anhang II und Anhang III der MDR. Hier bekommen die Hersteller im Unterschied zur früheren MDD erstmals eine klare Vorgabe, welche Inhalte und welche Struktur für die Technische Dokumentation zu berücksichtigen sind. Nachdem jedes dritte Vorkommnis mit Medizinprodukten auf eine mangelnde Gebrauchstauglichkeit zurückzuführen ist, wurde in den neuen Verordnungen auch berechtigterweise der Gebrauchstauglichkeit ein höherer Stellenwert eingeräumt und die aktive Marktüberwachung durch den Hersteller gefordert.
Worauf ist das zurückzuführen? Sind die Gebrauchsinformationen „schlecht“ – also die Dokumentation oder ihre Übersetzung?
Das wird statistisch nicht erfasst, aber die Gebrauchstauglichkeit hängt natürlich auch mit jeglicher Dokumentation, die zum Produkt gehört, zusammen. Darunter fallen auch Etiketten, Hinweise am Gerät, Software usw. Und sie hängt auch mit der mehrsprachigen Übertragung, sprich Übersetzung, dieser Dokumente zusammen.
Gibt es auch Punkte, die sich mit der MDR verschlechtert haben?
Ja, es gibt auch negative Aspekte. Es wurden auch die Prüfstellen neu organisiert. Manche Prüfstellen – oder Notified Bodies – verloren ihre Benennung nach MDD und mussten sich für die MDR gänzlich neu bewerben. Das führt bis heute zu einem Mangel an Prüfstellen, da sich nicht alle MDD Stellen auch für die MDR beworben haben bzw. unter der MDR eine Benennung bekommen haben. Die Anforderungen für Notified Bodies wurden darüber hinaus massiv verschärft und in einem eigenen Anhang, dem Anhang VII der MDR, festgeschrieben. Zur Einordnung: Es gab zuvor über 60 Prüfstellen in Europa, nun sind es noch die Hälfte. Derzeit dauert eine Konformitätsbewertung, vorausgesetzt man bekommt eine passende Benannte Stelle, mindestens 6 Monate.
Wie sieht es bei der IVDR (Verordnung für In-vitro-Diagnostika) aus, gibt es hier ähnliche Entwicklungen?
Ja. Hier wurde das Klassifizierungssystem geändert. Produkte werden nach neuen Kriterien ihrem Risiko entsprechend eingestuft. Die alte Verordnung stammt aus dem Jahr 1998. Damals wurden die Produkte nach Zweck in drei Risikostufen eingeteilt – Produkte der Liste A, der Liste B und "Other Devices“. In der IVDR gibt es nun vier Risikoklassen, nämlich A, B, C und D. Während zuvor rund 80% ein niedriges Risiko hatten (hierfür war keine Prüfstelle nötig), ist es jetzt umgekehrt und 80% sind in der Riskioklasse, die eine Prüfung durch eine benannte Stelle benötigen. Das fordert die Hersteller natürlich extrem. Zudem gibt es aktuell nach IVDR nur sieben Prüfstellen in ganz Europa.
Was sind die sichtbarsten Auswirkungen der neuen MDR sowie der neuen IVDR für Medizinproduktehersteller und ihre Stakeholder?
Medizinprodukte- und IVD-Hersteller waren bisher immer sehr stark auf die Technik und die Funktionalität fokussiert. Mit Einführung der MDR tritt nun die medizinisch klinische Komponente deutlich in den Vordergrund. Das heißt, Hersteller müssen sich um neue Experten in diesem Segment bemühen und stellen zunehmend Mediziner und Kliniker ein, um die Anforderungen zu erfüllen. Eine weitere leider schon sichtbare Auswirkung ist der bereits erwähnte Mangel an Prüfstellen oder Notified Bodies. Bei Produkten mancher Risikoklassen ist der Hersteller auf Benannte Stellen angewiesen. Im Klartext bedeutet das: Keine Benannte Stelle – keine Konformitätsbewertung – keine Inverkehrbringung. Der Mangel an Prüfstellen führt letztlich auch dazu, dass Hersteller weniger neue innovative Produkte in Verkehr bringen und in Zukunft wohl leider auch gute, etablierte Medizinprodukte vom Markt nehmen müssen.
Der Content muss den gesetzlichen und regulatorischen Entwicklungen in verschiedenen Märkten, veränderten Erwartungen und stetiger Innovation Rechnung tragen. Wo sehen Sie hier für Medizinproduktehersteller große Herausforderungen?
Auch wenn wir durch die neuen Verordnungen auf europäischer Ebene einen weitgehend harmonisierten Rahmen bekommen, so ist im internationalen Kontext, was die Harmonisierung betrifft, noch Luft nach oben! Nahezu jedes Land hat eigene Regulatorien betreffend Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika. Das ist für internationale Organisationen herausfordernd, zumal sich diese Regulatorien auch ständig ändern und die Hersteller mit diesen Dynamiken zurechtkommen müssen.
Was gibt die MDR Herstellern in Bezug auf Übersetzungen vor?
Wir haben in Europa eine Sprachenvielfalt. Die MDR überlässt es den Mitgliedsstaaten der EU festzulegen, in welcher Sprache die Dokumentation übersetzt sein muss, um das Produkt im jeweiligen Land in Verkehr bringen zu dürfen. Dabei denkt jeder in erster Linie an Gebrauchsanleitungen, aber es gehören sämtliche Informationen dazu, die zum Produkt gehören – also auch Etiketten, Produktkataloge, Broschüren, Websites, Trainingsunterlagen und vieles mehr. Übersetzer sind kritische Lieferanten, da sie mit der Übersetzung direkten Einfluss auf die Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit des Produktes haben. Übersetzer bzw. Übersetzungsbüros müssen initial qualifiziert und entsprechend ihrem Risiko auch überwacht werden.
Sind Zertifizierungen für die Übersetzungsbranche oder die ISO 13485 ein Qualitätsindiz für einen geeigneten Übersetzungsdienstleister für den Life-Sciences-Bereich?
In jedem Fall! Eine entsprechende ISO 13485 Zertifizierung bedeutet, dass eine kompetente Zertifizierungsorganisation einmal jährlich die Organisationsabläufe und Prozesse auf Normkonformität überprüft. Sofern das Zertifikat gem. ISO 13485 von einer akkreditierten Zertifizierungsstelle ausgestellt ist, ist ein Übersetzungsdienstleister mit einem solchen Zertifikat jedenfalls die bessere Wahl. Man erkennt dieses Qualitätskriterium durch ein entsprechendes Akkreditierungssymbol oder einen Vermerk direkt am Qualitätszertifikat.
Welche Vorteile bietet ein nach ISO 13485 zertifizierter Übersetzungsdienstleister?
Ein Übersetzungsdienstleister ist ein kritischer Lieferant, zumal er mit seiner Leistung – zum Beispiel dem Übersetzen der Gebrauchsanweisung oder einzelner Sicherheitshinweise für den Anwender – einen direkten Einfluss auf die Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit des Medizinproduktes nehmen kann. Der Hersteller muss ihn und seine Dienstleistung prüfen und kontrollieren. Eine Übersetzung muss beim Hersteller immer innerhalb eines Qualitätsmanagementsystems geregelt werden. Wenn der Hersteller einen zertifizierten Dienstleister für Übersetzungen hat, so kann er seine Aufwände im Sinne der Kontrolle des Lieferanten minimieren. Er kann sich im Sinne der Basisanforderungen der ISO13485 auf die Kontrolle durch die Zertifizierungsstelle berufen und sich in seiner Kontrollfunktion voll auf die jeweiligen Produktanforderungen konzentrieren. Das ist ein Mehrwert für jeden Medizinproduktehersteller. Die Verantwortung , kritische Lieferanten zu kontrollieren, liegt immer beim Hersteller bzw. auch Händler. Allerdings sind für einen ISO 13485 zertifizierten Übersetzungsdienstleister die Aufwände dafür deutlich geringer. Der Aufwand muss risikobasiert organisiert werden und hängt von einer Reihe von Faktoren ab, wie zum Beispiel, wie riskant die Dokumente sind und ob der Hersteller die Möglichkeit hat, die Leistung des Übersetzungsdienstleisters z.B. durch muttersprachliche Mitarbeiter zu prüfen.
Geht für Sie die MDR mit der ISO 13485 Hand in Hand?
Was die Systemanforderungen betrifft, sind die Ansprüche beider Regelwerke ähnlich, wobei der Fokus der MDR/IVDR ausschließlich auf der medizinischen Leistung und Sicherheit der Produkte liegt. Um die Anforderungen der MDR/IVDR in Bezug auf das Qualitätsmanagementsystem in der Praxis zu erfüllen, benötigt man die ISO 13485. Die MDR/IVDR enthält zu wenig Informationen, um ein Qualitätsmanagement aufzubauen. Man braucht die ISO, um nähere Informationen zu den einzelnen Anforderungen und deren Umsetzung zu erhalten.
Stimmen Sie uns zu, wenn wir sagen, dass schon bei der Erstellung der Produktinformationen und Dokumentation auf eine mögliche Internationalisierungsmaßnahme (Übersetzung) gedacht werden sollte? Wo würden Sie ansetzen, um den Übersetzungsprozess nicht außen vor zu lassen?
Ja. Die Zielmärkte mit ihren Anforderungen sind Teil der sogenannten „Product Requirements“ und müssen, bevor ein Entwicklungsprojekt beim Hersteller gestartet wird, definiert werden. Eine weitere wichtige Komponente ist die Risikoanalyse für das Medizinprodukt, bei der zu einem möglichst frühen Zeitpunkt im Entwicklungsprojekt, u.a. auch Risiken im Zusammenhang mit fehlerhaften Übersetzungen aller vom Hersteller zur Verfügung gestellten Informationen bewertet werden müssen. Hier sind auch risikominimierende Maßnahmen zu definieren, um die Auswirkungen dieser Risiken auf ein akzeptables Niveau zu bringen.
Widmen wir uns noch einem speziellen Punkt – die Rolle der Händler. Der Händler wird, wenn er eine Übersetzung liefert, nicht gleich zum Hersteller. Was gibt es hier zu beachten?
Neuerdings können sich auch Händler um die Übersetzung kümmern, ohne, dass sie dadurch in die Rolle des Herstellers gedrängt werden. Bisher haben sich Händler davor gescheut, das Produkt in jeglicher Weise zu verändern. Wenn ein Händler die Übersetzung organisiert gilt, dass die Übersetzung für das jeweilige Land gesetzlich gefordert sein muss und das die Übersetzung innerhalb eines Qualitätsmanagementsystems ausgeführt werden muss. Auch in diesem Falle ist es so, dass nach ISO 13485 zertifizierte Übersetzungsbüros deren Prüfung und Überwachung nicht überflüssig machen, aber die Aufwände für die Lieferantenüberwachung deutlich geringer ausfallen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
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