Machine Translation ist aus der Übersetzungsbranche nicht mehr wegzudenken und Übersetzer werden zunehmend (auch) zu Post-Editoren. Slowenisch-Übersetzer Vito und Französisch-Übersetzer Guillaume sprechen im Interview über ihre Sicht auf MT und darüber, welche Erfahrung sie mit künstlicher Intelligenz gemacht haben.
Vito: Meine Lizenz für Google Translate stammt aus dem Jahr 2011, ich bin also seit mehr als zehn Jahren damit vertraut. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon sieben Jahre als Übersetzer „im Geschäft“. In den Anfangsjahren habe ich viele „Kinderkrankheiten“ der Zunft durchgestanden und bemerkt, dass man als Linguist in Technologie, Schulungen und Back Office investieren muss, um vorne dabei zu sein und sich aus der Masse hervorzuheben. Als Beispiel: TRADOS gab es schon, es kostete eine Stange Geld, aber man konnte Translation Memorys einsetzen und dadurch schneller und verlässlicher übersetzen und folglich mit dem Preis flexibler sein. Der Sprung zu MT kam später, die Argumente waren aber dieselben.
Guillaume: Ich verwende MT seit Sommer 2017. In meinem Fall war es so, dass ich von Kollegen erfahren hatte, dass diese neue Technologie auf den Markt gekommen war und ich wollte diese unbedingt ausprobieren. Ich arbeitete damals an einem größeren technischen Text im Bereich Maschinen- und Anlagenbau und wollte sehen, ob MT in diesem Bereich zum Einsatz kommen kann, und, ob man dadurch wirklich schneller wird.
Guillaume: Ich würde behaupten, dass sich die Arbeitsweisen grundlegend unterscheiden. Beim Übersetzen muss man die gesamte Satzstruktur von Grund auf neu „erfinden“. Beim Post-Editieren ist es hingegen so, dass Satzstruktur, Stil, Grammatik und Fachbegriffe vorgegeben sind und man diese überprüft und gegebenenfalls korrigiert. Der Rechercheaufwand ist aber in beiden Fällen derselbe. Ich mag definitiv beides, aber man muss wissen, dass man MT nicht in allen Bereichen einsetzen kann beziehungsweise sollte.
Vito: Für mich ist Post-Editieren wie Lektorieren. Und wenn ich den Unterschied zwischen Lektorieren und Übersetzen beschreiben soll, so finde ich persönlich Lektorieren anstrengender: Man liest und liest und da ist alles in Ordnung – aber man muss unbedingt wachsam bleiben! Wenn das, was da steht, aber schlecht ist, dann wird es langsam – manchmal langsamer, als wenn man es gleich selbst übersetzt hätte. MT-Übersetzungen waren anfänglich grauenvoll, in der Zwischenzeit sind sie zwischen gut genug und sehr gut. Für mich ist seit einiger Zeit klar: Meine Rolle im Prozess verliert an Bedeutung und an Wert.
Guillaume: Ich würde sagen, das ist mittlerweile 50:50. Die Tendenz geht aber in Richtung mehr MTPE.
Vito: Bei mir sind es momentan 20 % Humanübersetzungen und 80 % MTPE-Aufträge, wobei es in beiden Fällen eher kurze Texte sind.
Vito: Meine Erfahrung ist, dass man zwar schneller fertig ist, aber eben für weniger Geld. Es sind fünf bis sogar zehn Mal mehr Aufträge nötig, damit unterm Strich derselbe Verdienst bleibt. Mir fehlt aber die Zeit, um ständig nach neuen Aufträgen zu suchen.
Guillaume: Bisher bemerke ich glücklicherweise keinen Unterschied. Aus meiner Erfahrung heraus bin ich, wenn die Texte sich für MTPE eigenen, damit um etwa 40 % schneller. Wenn Post-Editieren fair entlohnt wird – also ich meine damit konkret 60 % des Übersetzungspreises – dann wirkt sich die Zunahme der MTPE-Aufträge so gut wie nicht auf meinen Verdienst aus. Das Problem ist aber oft, dass manche Kunden davon ausgehen, dass ein bestimmter Text post-editierbar ist, obwohl das nicht der Fall ist. Da wird manchmal entweder die Fachlichkeit des Textes unterschätzt oder der Rechercheaufwand, der damit verbunden ist. Und das führt dann unweigerlich dazu, dass sich ein solcher Auftrag finanziell nicht mehr lohnt.
Guillaume: Ich arbeite fast ausschließlich mit DeepL und besitze selbst die Pro-Lizenz. Ansonsten verwende ich aber den Output, wie er mir von meinen Kunden im jeweiligen CAT-Tool zur Verfügung gestellt wird.
Vito: Ich selbst benutze nur Google. Die Kunden verwenden in letzter Zeit mehr und mehr LanguageTool. Vergleiche fallen mir aber schwer.
Vito: Slowenisch ist ja eine Sprache mit relativ komplexer Grammatik. So hat bisher kein MT-Dienst den slowenischen Dual gemeistert. Weiters gibt es häufig Probleme mit den Verben im Kontext. Sie „enden männlich“, auch wenn die weibliche oder sächliche Form benötigt werden würde. Vor allem aus dem Englischen ins Slowenische kommen dann noch Probleme mit dem Siezen/Duzen hinzu. Weiters wird viel zu oft eine Gerundiv-Form anstatt eines untergeordneten Satzes eingesetzt. Problematisch sind auch die im Deutschen üblichen langen Genitivketten. Erwähnenswert ist außerdem der willkürliche Einsatz von Synonymen, also dass Termini nicht einheitlich übersetzt werden – vor allem bei LanguageTool.
Guillaume: Im Französischen meistert MT – und ich spreche hier vorwiegend von DeepL, weil ich das wie gesagt hauptsächlich nutze – Syntax und Rechtschreibung wirklich gut. Nicht so gut bewerte ich Stil und Interpunktion. Und natürlich kann die Maschine nicht zwischen den Zeilen lesen. Somit ist sie mit kulturellen Eigenheiten und den kleinen, feinen Bedeutungsnuancen eines Textes völlig überfordert. Und: DeepL übersetzt aus dem Englischen. Das heißt, wenn die Ausgangssprache eigentlich Deutsch ist, wird der Text zuvor noch ins Englische übersetzt. Daher sind die maschinellen Übersetzungen aus dem Deutschen meist nicht so gut und mein zeitlicher Aufwand beim Post-Editieren ist merklich höher.
Guillaume: Eine ganz große Gefahr ist, dass dem Ausgangstext zunehmend weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird und der Zieltext dadurch vielleicht nicht genügend angepasst wird. Nur, weil ein Zieltext gut klingt, heißt das ja nicht zwangsläufig, dass er „richtig“ ist, also dass das die korrekte Übersetzung des Ausgangstextes ist. Und gerade weil die Ergebnisse besser und besser werden und wenn man stundenlang nur post-editiert, läuft man Gefahr, dass man sich von guten Ergebnissen blenden lässt. Ein weiteres Problem ist aus meiner Sicht, dass man eventuell dazu verleitet wird, den Translation Memorys und Termdatendank-Einträgen weniger Beachtung zu schenken. Ich persönlich achte da aber immer drauf. Ein weiteres Thema ist der Datenschutz. Hier sollte man wirklich vorsichtig sein und nur mit Pro-Versionen arbeiten.
Vito: Die größte Gefahr ist in meinen Augen, dass wir Übersetzer überflüssig werden. Ebenso gefährlich ist, dass man den MT-Output überhaupt nicht post-editiert.
Vito: Ganz klar nicht geeignet ist MT für literarische Texte, Werbe- und Marketingtexte und die Untertitelung von Videos. Problemlos möglich ist der Einsatz aber bei Betriebs- und Montageanleitungen, wie ich finde.
Guillaume: Diese Erfahrung teile ich und möchte noch ergänzen: Gut geeignet ist MT für technische Texte mit wenig Fachjargon, IT-Texte und Inhalte aus internationalen Rechtsquellen, die schon zig Mal übersetzt wurden und online verfügbar sind. Darunter fallen zum Beispiel EU-Richtlinien – also alles, was oft übersetzt und online veröffentlicht wurde. Ich würde sogar sagen, dass ich gewisse Texte, wie eben technische Texte, gar nicht mehr ohne MT bearbeiten möchte.
Weniger gut geeignet ist MT für Texte, bei denen nicht nur der Inhalt selbst wichtig ist, sondern auch wie die Botschaft präsentiert wird. Bei Werbe- und Marketingtexten kann man MT wirklich vergessen. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass selbst ein Newsletter oft nicht post-editiert werden kann. Der vorhandene Output behindert mehr, als er nützt. Man wird als Post-Editor zu sehr verleitet, den Stil zu übernehmen und formuliert dann nicht mehr „schön“. Weiters sind grundsätzlich Texte, deren Inhalte nicht oft übersetzt und veröffentlicht wurden – wie etwa nationale Rechtstexte – weniger gut für MT geeignet. Nationale Rechtsquellen sind oft nicht zur Gänze übersetzbar, da es im Recht des Ziellandes keine Entsprechung gibt. Die Arbeit des Übersetzers besteht dann darin, einen Rechtsvergleich anzustellen, und zu erklären, was mit verschiedenen Begriffen gemeint ist.
Ein Beispiel: Der „Gerichtsvollzieher“ hat in Österreich und Frankreich nicht die gleichen Aufgaben. In Frankreich erfüllt er zusätzliche Funktionen, wie Bestandsaufnahmen in Streitfällen. Wenn einfach nur das Wort übersetzt würde, verstünde ein Österreicher nicht, weshalb der Gerichtsvollzieher plötzlich Tätigkeit X ausübt.
Guillaume: Das sind hauptsächlich Kunden oder Agenturen, die in den Bereichen Technik, Medizintechnik und IT arbeiten.
Vito: Mein Anteil von MTPE-Aufträgen wächst ständig, sowohl von kleineren Kunden, die mit der Übersetzungsmaterie noch nicht so vertraut sind, als auch von etablierten Kunden und Übersetzungsbüros.
Vito: Mit diesem Thema hat sich meiner Meinung nach der Auftraggeber auseinanderzusetzen.
Guillaume: Direktkunden haben MT-Lösungen bei mir noch nie angefragt, sodass ich bis jetzt nur Aufträge von Übersetzungsagenturen erhalten habe. In diesem Fall wird mir der MT-Output im CAT-Tool bereits zur Verfügung gestellt, sodass ich mir in Bezug auf Datensicherheit keinen Kopf mache. Wenn ich MT-Lösungen privat einsetze, dann verwende ich nur kostenpflichtige Dienste wie DeepL Pro, wo ich weiß, dass die Datensicherheit einen großen Stellenwert einnimmt.
Guillaume: An der Uni wurde der Umgang mit Machine Translation und Post-Editieren gar nicht besprochen. Das liegt aber wahrscheinlich daran, dass die Technologie damals ganz neu und noch nicht verbreitet war. Soweit ich weiß, wird MTPE an Unis aber mittlerweile thematisiert. Ich persönlich hatte also keine fachliche Ausbildung in dem Bereich, aber ein Übersetzungsbüro hat vor drei Jahren eine Schulung in diesem Bereich organisiert, an der ich gerne teilgenommen habe. Und dann erfolgt ein stetes „learning by doing“. Tatsächlich habe ich am meisten beim Redigieren von post-editierten Texten gelernt. Manchmal stolpert man dabei über Fehler, die eindeutig der Maschine geschuldet sind und ich mir denke: „In diese Falle hätte ich auch tappen können“. Ansonsten geben die Agenturen mir Richtlinien vor, was sie beim Post-Editing erwarten.
Vito: In der Regel bekomme ich vom Auftraggeber eine Liste mit Anforderungen, was zu tun ist. Und die befolge ich dann. Dass Post-Editing eine spezielle Schulung benötigen würde, sehe ich nicht.
Vito: Vielleicht sehe ich das etwas zu pessimistisch. Aber Babelfish und Google Translate sind ja schon fast auf jedem Handy. MT ist eine erste Ahnung von dem, was von Künstlicher Intelligenz noch zu erwarten sein wird: Sie wird langsam so intelligent wie wir und schnell noch intelligenter. Meiner Meinung nach werden sich KI und MT auch auf die Sprachen auswirken. Es wird sich weisen, wohin MT noch führen wird und inwiefern Humanübersetzungen noch gebraucht werden. MT bedeutet ein Ausschalten von Zwischenstufen auf dem Weg des Produktes vom Hersteller zum Verbraucher: Die Kette zwischen dem Kunden und den Dienstleistern verliert ein Glied nach dem anderen. Die Agenturen, so wie wir Übersetzer, sind ein Glied in dieser Kette: Werden sie überleben?
Guillaume: So sehe ich das nicht. Ich glaube nicht, dass menschliche Übersetzer in naher Zukunft verschwinden werden. Machine Translation basiert auf Deep Learning. Das heißt, dass die Maschine anhand vorhandener Datensätze (veröffentlichter Übersetzungen) und Wahrscheinlichkeitsalgorithmen versucht, vorauszusagen, was sein Satz bedeuten könnte. Ergebnisse von MT-Tools basieren also auf Mathematik. Diese Tools verstehen ja nicht, was sie sagen, und das wird meiner Meinung nach auch noch lange nicht der Fall sein. Ich glaube jedoch, dass MT-Tools sich immer verfeinern werden und im Alltag immer mehr zur Anwendung kommen werden. Wenn die Botschaft des Zieltextes jedoch eine wichtige Rolle spielt, wird die Arbeit des Übersetzers bzw. des Revisors noch lange nicht obsolet werden.
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