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6 Gründe, warum ein dezentraler Übersetzungseinkauf chaotisch sein kann

Geschrieben von Meinrad Reiterer | 11. August 2022

Ungünstig mit Tendenz zum Chaotischen – so lässt sich der dezentrale Einkauf von Übersetzungsdienstleistungen beschreiben. MEINRAD erklärt, warum das so ist und was die Nachteile und Risiken dieser Beschaffungsweise sind.

Beim dezentralen Einkauf holen die einzelnen Abteilungen/Projektteams im Unternehmen für jede Übersetzung Angebote von mehreren Übersetzungsbüros ein. Liegen alle Angebote vor, müssen diese verglichen werden. Das ist oft gar nicht so einfach, da sich die Verrechnung und die Service Levels deutlich unterscheiden können. Wie auch immer: Meist bekommt am Ende des Tages der günstigste Anbieter den Zuschlag. Diese Vorgehensweise birgt einige Nachteile, die man in die Waagschale werfen sollte.

Hoher laufender Aufwand

Schon auf den ersten Blick ist offensichtlich, dass das permanente Einholen von Angeboten sehr zeitintensiv ist. Die Mitarbeiter müssen die verschiedenen Übersetzungsbüros kontaktieren, allen die Dateien schicken und auf das Eintrudeln der Angebote warten. Danach fließt Zeit in den Vergleich der Angebote. Dieser administrative Aufwand sollte nicht unterschätzt werden. Er stellt vor allem bei dringenden Übersetzungen ein großes Manko dar, weil wertvolle Zeit mit dem Warten auf Angebote und deren Vergleich vertan wird.

Translation Memorys und Termdatenbanken sind verstreut

Im modernen Übersetzungsprozess spielen Ressourcen wie Termdatenbanken und Translation Memorys (TM) eine zentrale Rolle. Vor allem die Translation Memorys , also die Übersetzungsspeicher, sind bares Geld wert. Hat man nun aber angenommen zehn unterschiedliche Übersetzungsdienstleister (mit jeweils eigenen TMs) und schickt die Übersetzungen einmal dahin und einmal dorthin, wird vieles doppelt und dreifach übersetzt und dementsprechend auch doppelt und dreifach bezahlt. Denn: Jedes Übersetzungsbüro kann nur auf seine eigenen TMs zugreifen. Ihre Übersetzungen sind also kreuz und quer verstreut. Um bei Folgeübersetzungen Einsparungen erzielen zu können, wäre es wichtig zu wissen, wer welche Texte übersetzt hat.

Abhilfe schaffen könnte, dass Sie sich selbst um die Verwaltung der TMs kümmern (sofern die Übersetzungsbüros diese ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung „rausrücken“ und bereit sind, diese „Fremdübersetzungen“ zu verwenden). In jedem Fall entsteht ein enormer Aufwand für das Updaten und Hin- und Herschicken zwischen den einzelnen Übersetzungsbüros.

Inkonsistente Übersetzungen und wechselnder Stil

Aus dem Translation-Memory-Dilemma ergibt sich neben den Kosten für doppelte Übersetzungen durch die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Übersetzungsbüros ein weiterer Nachteil: Die Gefahr für inkonsistente Übersetzungen steigt enorm. Dadurch, dass wie bereits erwähnt, jedes Übersetzungsbüro nur auf seine eigenen TMs zugreift, kann der Übersetzer von Übersetzungsbüro A nicht wissen, dass der Übersetzer von Übersetzungsbüro B diesen Satz bereits einmal übersetzt hat. Er wird wahrscheinlich eine leicht bis völlig andere Übersetzung liefern – besonders schlimm ist das, wenn Fachtermini unterschiedlich übersetzt sind. Ein- und dasselbe Teil könnte also ganz anders benannt sein. Verwirrungen und eventuelle Bedienungsfehler beim Endkunden sind die Folge.

Lerneffekte von Übersetzern sind geringer

Apropos Übersetzungsqualität wenn Übersetzer länger für ein bestimmtes Unternehmen Texte übersetzen, kennen sie die Produkte mit der Zeit natürlich besser und besser. Die Qualität der Übersetzungen steigt unweigerlich. Daher sind Stammübersetzer so wertvoll. Wenn man Texte aber einmal an dieses und einmal an jenes Übersetzungsbüro schickt, sind die Lerneffekte für die Übersetzer schlichtweg geringer.

Keine Kostenkontrolle und Transparenz

Weitere Nachteile des dezentralen Einkaufs von Übersetzungen sind die mangelnde Kostenkontrolle und Transparenz. Durch die vielen Übersetzungsbüros wird es schnell unübersichtlich und man weiß gar nicht mehr so genau, was man wo für was bezahlt hat. Das macht auch das Reporting schwieriger, falls es vom Management gewünscht ist.

Schlechtere Verhandlungsbasis für bessere Konditionen

Stets den Anbieter mit dem günstigsten Angebot auszuwählen, mag in vielen Bereichen auch tatsächlich die günstigste Vorgehensweise sein. Im Übersetzungsbereich ist sie es aber nicht zwingend. Neben den Einsparungen durch Translation Memorys verliert man dadurch eventuell auch die Chance auf Volumenrabatte. Wer beispielsweise bei einem Übersetzungsdienstleister um 100.000 Euro im Jahr einkauft, bekommt eher einen Rabatt, als wenn er bei 10 Übersetzungsbüros um je 10.000 Euro einkauft. Durch langjährige Geschäftsbeziehungen und gute Partnerschaften ergeben sich in der Regel bessere Konditionen. Und so kann ein Angebot, das auf den ersten Blick nicht das billigste ist, auf den zweiten Blick doch das günstigste sein. Unser Tipp: Nachfragen und die Karten auf den Tisch legen.

 

 

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