Machine Translation

Machine Translation in der Technischen Doku: Kann das funktionieren?

Irina Hoell

Mag. Irina Höll, MA, MSc ist Technische Übersetzerin, Dolmetscherin und Language Engineer. Im Interview spricht sie über Fluch und Segen von Machine Translation, deren Einsatz und Einführung in der Technischen Dokumentation und gibt Tipps, worauf man bei der Erstellung von Texten für die maschinelle Übersetzung achten sollte.

 

Du bist Technische Übersetzerin, ausgebildete Technische Redakteurin und Expertin für Machine Translation sowie Lehrende im Studiengang Technische Dokumentation an der FH Joanneum. Bitte erzähl uns ein bisschen von deinem beruflichen Hintergrund.

Ich bin ausgebildete Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin. Seit 2013 bin ich In-House-Linguistin in der Patentanwaltskanzlei Häupl-Ellmeyer in Wien. Zusätzlich bin ich als Übersetzerin und Dolmetscherin für Deutsch, Englisch, Spanisch und Schwedisch sowie als Language Engineer in Beraterfunktion selbstständig. Ich erhielt in den letzten Jahren immer mehr Anfragen für die Übersetzung von technischen Betriebsanleitungen. Also habe ich mich im Jahr 2017 entschlossen den Masterlehrgang „Technische Dokumentation“ an der FH Joanneum in Graz zu besuchen. Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich mich intensiv mit dem Thema Machine Translation & Technische Dokumentation beschäftigt. Aus meiner Masterarbeit ist eine Art Handbuch für Technische Redakteure im Umgang mit Machine Translation geworden. Seither berate ich Kunden, Übersetzungsagenturen und auch Linguisten selbst im Umgang mit und bei der Einführung von MT.

 

Machine Translation erlebt in den letzten Jahren einen Höhenflug und ist mittlerweile in den Unternehmen und deren Technischen Redaktionen bzw. Übersetzungsabteilungen angekommen. Ist Machine Translation deiner Meinung nach Fluch oder Segen?

Viele Kollegen in der Übersetzungsbranche sind bei diesem Thema sehr emotional. Aber ich sehe das sehr pragmatisch: Es ist eine technologische Entwicklung. Die ist jetzt einfach da. Es nützt mir als Übersetzerin nicht, dagegen anzukämpfen und mich zu verschließen. Wir sind ja noch lange nicht so weit, dass uns die Arbeit deshalb ausgehen würde. Eine Maschine kann einen Menschen im sprachlichen Kontext noch nicht ersetzen. Der Fluch ist für mich, dass die Technologie so breit zugänglich ist.

 

Inwiefern ist das schlecht?

Nun ja, Machine Translation kann von der breiten Masse eingesetzt werden. Und die breite Masse setzt sie ein, überlegt aber vorher nicht. Dann ist die Verwunderung oft groß, warum die Qualität nicht passt oder der Einsatz doch nicht so kosten- und zeitsparend ist, wie man geglaubt hat und schon wird die ganze Technologie verteufelt. Man muss sich dessen bewusst sein, dass Machine Translation schlichtweg nicht für jeden Text geeignet ist.

 

Welcher Content eignet sich denn für die maschinelle Vorübersetzung?

Jeder Text, dessen Zweck primär an eine ansprechende Formulierung gekoppelt ist (z.B. Marketing-Texte) eignet sich meiner Erfahrung nach derzeit nicht für Machine Translation, da hier der Nachbearbeitungsaufwand sehr hoch wäre. Dazu zählen jede Art von Werbe- und Marketingtext sowie Texte, die emotionale Botschaften transportieren sollen, hochtechnisch oder stark normiert sind oder sensible Inhalte enthalten. Betriebsanleitungen hingegen eignen sich prinzipiell gut. Sie sind vom linguistischen Aufbau ideal. Die Sätze sollten simpel sein und der Zweck des Textes ist die Informationsgewinnung. Machine Translation sollte in der Technischen Dokumentation aber niemals ohne Post-Editing eingesetzt werden. Da schneidet man sich ins eigene Fleisch.

 

Worauf müssen Technische Redakteure bei der Erstellung von Texten achten, wenn später Machine Translation zum Einsatz kommen soll?

Wenn Texte maschinell übersetzt werden sollen, muss die Content Creation in der Technischen Dokumentation im Idealfall eine andere sein. Auf linguistischer Ebene lautet die Goldene Regel daher: Einfach, eindeutig und konsistent schreiben. Je modularer und repetitiver, desto besser ist es, auch in Hinblick auf die Wiederverwendbarkeit durch Translation Memorys. Wichtig sind auch eine korrekte Rechtschreibung und Syntax. Die Sätze sollten kurz sein, denn die Qualität der maschinellen Übersetzung nimmt erwiesenermaßen ab, je länger der Satz ist. Weiters sollte man Aktiv statt Passiv und keinen Humor verwenden sowie seltene Worte, dialektale Abwandlungen und Abkürzungen vermeiden. Vorteilhaft ist auch die Verwendung von wenig Pronomen, aber von bestimmten Artikeln. Das klingt jetzt vielleicht sehr logisch und wenig herausfordernd, in der Praxis sind aber durchaus ein wenig Disziplin und Selbstreflexion notwendig, um diese Punkte so rigoros umzusetzen, damit für die Übersetzung auch ein klarer Vorteil erzielt werden kann. Authoring-Systeme können dabei helfen, die Übersetzbarkeit von Texten zu optimieren.

 

Was würdest du Technischen Redakteuren und In-House-Übersetzern raten, wenn das Management künftig unbedingt Machine Translation einsetzen möchte, um die Übersetzungskosten zu senken. Wie sollen sie mit der Situation umgehen?

Ich empfehle, der Thematik prinzipiell positiv gegenüber zu treten. Dem Management muss gesagt werden: „Ja, können wir versuchen, aber nur unter gewissen Voraussetzungen!“ Man sollte sich zunächst also mit der Thematik beschäftigen oder sich beim Übersetzungsbüro des Vertrauens informieren, welcher Content sich eignet. Und dann analysiert man den eigenen Content und stellt sich die Frage, welche Qualität und welche Wirtschaftlichkeit man erzielen möchte. Und man sieht sich die Risiken an. Die Diskrepanz zwischen Einsparung/wirtschaftlichem Nutzen und Qualität gepaart mit weit überzogenen Erwartungen seitens des Managements ist das größte Hindernis, warum die Einführung von Machine Translation und Post-Editing in der Praxis oft scheitert.

 

Warum ist es wichtig, im Vorfeld eine Risikoanalyse durchzuführen?

Bei einer Übersetzung und insbesondere bei einer maschinellen Übersetzung kann eine Menge schief gehen. Im besten Fall erzeugen schlechte Übersetzungen Kopfschütteln oder Lachanfälle. In vielen Fällen führt eine schlechte Übersetzung zu einem Imageverlust, denn die Übersetzung ist Teil des Produkts. Ist die Qualität dieses Teils ungenügend, entwerte ich mein gesamtes Produkt. Im schlechtesten Fall kann etwa der Endkunde die Maschine nicht in Betrieb nehmen und damit nicht produzieren oder er wartet sie falsch und es kommt zu Schäden an der Maschine. Der absolute Supergau sind Personenschäden. Der Hersteller haftet für eine fehlerhafte Übersetzung. Das ist bei einer maschinellen Übersetzung nicht anders als bei einer Humanübersetzung, nur das Risiko ist etwas höher. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass es unbedingt ein professionelles Post-Editing braucht. Eine maschinelle Übersetzung ohne Post-Editing ist nicht normengerecht. Man weiß nie, was die Maschine ausspuckt, gerade bei neuronaler maschineller Übersetzung sind Auslassungen/Hinzufügungen oder verzerrte inhaltliche Aussagen häufige Fehlerquellen.

Deshalb ist es wichtig, vor dem Einsatz von maschineller Übersetzung eine Risikoanalyse durchzuführen und sich zu fragen, ob die möglichen Einsparungen das erhöhte Risiko wert sind. 

 

Angenommen, die Texte sind für Machine Translation geeignet. Kann man dann den Stier schon bei den Hörnern packen und sofort mit MT loslegen?

Man kann schon, aber es ist keine gute Idee. Viele Unternehmen hören nur das Wort „Kosteneinsparung“ und wollen dann natürlich sofort loslegen. Vielen ist aber nicht bewusst, dass es einiges an Vorarbeit benötigt, um MT bei gleicher Qualität und verbesserter Wirtschaftlichkeit erfolgreich einzusetzen. Daher ist es wichtig, im Vorfeld eine Bestandsanalyse zu machen und sich das Sprachmanagement im Unternehmen genau anzusehen. Ist dieses noch nicht so ausgereift, gibt es keine oder unsaubere TMs und kein Terminologiemanagement, wäre mein Rat, zuerst das Sprachmanagement auf Ebene der Humanübersetzung professionell aufzubauen. Erst, wenn es diese Basis gibt und die Prozesse hierfür reibungslos laufen, sollte man überlegen, ob man MT ausprobiert. Denn wenn es mit der Humanübersetzung schon nicht funktioniert, wird MT dieses Problem nicht lösen. Es wird vielleicht kurzfristig billiger, langfristig steigt aber weder die Qualität noch sinken die Kosten!

 

Hat sich die Rolle der Technischen Redakteure mit dem zunehmenden Aufkommen von Machine Translation geändert? Kann es sein, dass die Aufgabe, die Dokumentation zu übersetzen, auf den Technischen Redakteur „abgewälzt“ wird?

Das kann durchaus vorkommen. Ich sehe das kritisch. Meiner Meinung nach sollte eine Betriebsanleitung eigentlich ausschließlich in der Muttersprache verfasst werden. Es gibt natürlich Technische Redakteure, die eine oder mehrere Fremdsprachen sehr gut beherrschen. Und ohne Zweifel kennen sie die unternehmensinterne Terminologie besser als ein Übersetzer, der noch nie an einer Übersetzung für dieses Unternehmen gearbeitet hat, aber das ist auch nur beim ersten Auftrag so. Übersetzer lernen hier ja unglaublich schnell. Ich finde also, jeder sollte bei seinem eigenen Handwerk bleiben – wiederum auch aus Gründen der Risikominimierung und der Qualität.

 

Abgesehen vom Aspekt der Qualität, gibt es noch weitere Risiken, wenn man Machine Translation für die Produktivität in der Technischen Dokumentation nutzen möchte?

Ja, da gibt es einige. Vor allem das Cyber-Risiko ist ein entscheidender Aspekt. Was ich immer wieder feststelle, ist, dass zu sorglos mit MT umgegangen wird. Wenn man eine Betriebsanleitung schreibt und es fällt einem gerade nicht ein, wie man etwas treffend auf Englisch sagen kann, kopiert man den Absatz mal eben in Google Translate oder DeepL. Achtung! Da können sensible Produktinformationen enthalten sein, von denen oft vertraglich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geregelt ist, dass sie keinesfalls weitergeben werden dürfen. Genau das tue ich aber, wenn ich öffentliche MT-Engines nutze. Vielfach wird MT auch verwendet, um Mails von Kollegen zu übersetzen. Auch das sollte man sich gut überlegen. Man weiß im Vorhinein nicht, welche Informationen der Kollege da reingepackt hat. Da appelliere ich zu größter Vorsicht. Nur zu schnell könnten Informationen, die in frei zugängliche MT-Engines eingegeben werden, als Ergebnisse in Suchmaschinen landen oder als Trainingsdaten vom jeweiligen Unternehmen weiterverwendet werden.

 

Wenn man in puncto MT mit einem Übersetzungsbüro zusammenarbeiten möchte, woran erkennt man, ob der Sprachdienstleister MT-Erfahrung hat? Was sind die ersten Schritte?

Ein Punkt ist die Zertifizierung nach ISO 18587, der Post-Editing Norm in Verbindung mit der ISO 17100. Ein weiterer ist ganz einfach Kommunikation. Werden mir als Auftraggeber Fragen gestellt? Diese könnten sein: Welcher Content soll übersetzt werden, um welches Volumen handelt es sich, wie hoch ist das Risiko? Daneben sollte man sich informieren, mit welcher Engine gearbeitet wird, ob man Trainingsdaten bereitstellen kann, wer diese bereinigt und wie lang das dauert. Gibt es einen In-House-Experten für MT, an den ich mich wenden kann? Begleitet mich ein Ansprechpartner durch den gesamten Prozess oder stehe ich alleine damit da? Wer sind die Post-Editoren, welche Ausbildung bzw. wieviel Erfahrung haben sie? Kann ich meine Texte 1:1 schicken, oder muss ich diese vorher noch entsprechend umschreiben? Ein professionelles Übersetzungsbüro wird hier beratend zur Seite stehen und vermutlich auch Testprojekte anbieten. Da sieht man dann, ob Qualität und Wirtschaftlichkeit dem eigenen Anspruch gerecht werden oder sich MT nicht rentiert. Man könnte auch einen Styleguide erarbeiten, der es den Technischen Redakteuren dann leichter macht, MT-taugliche Texte zu erstellen. Professionelle Übersetzungsbüros stehen auch für Gespräche mit dem Management parat. Oftmals haben Sie Kosten-Nutzen-Rechnungen, die das Management von einem professionellen Umgang mit MT überzeugen können.

 

Klingt nach einem recht aufwendigen Prozess?

Ja, die Einführung von Machine Translation ist am Anfang immer mit Aufwand verbunden. Bis die Prozesse stehen und die Voraussetzungen erfüllt sind, kann es schon ein paar Monate dauern. Man kann MT nicht ohne Aufwand einführen und denken, dass man damit dieselbe Qualität wie bei Humanübersetzung erreicht, bei gleichzeitig wesentlich verbesserter Wirtschaftlichkeit. Aber es rentiert sich schnell, sobald die Lieferkette steht und läuft.

 

Abgesehen von einem eventuellen Umarbeiten der Ausgangstexte, was gilt es vor dem Start mit MT noch zu beachten?

Mittlerweile können MT-Engines ja trainiert werden. Das geschieht u.a. mit Translation Memorys. Diese sollten bereinigt und „spotless“ sein. Da sollte keine Terminologie enthalten sein, die man nicht haben will. Sonst hat man wieder einen höheren Post-Editing-Aufwand. Dasselbe gilt natürlich auch für die Termdatenbank.

 

Was möchtest du den Technischen Redakteuren und In-House-Übersetzern noch mit auf den Weg geben?

Ich würde ihnen zwei Dinge ans Herz legen:

  1. Versteckt euch nicht vor der neuesten Technologie. Nutzt sie und zwar mit Verstand. Dann steht einer hohen Qualität bei optimierten Kosten nichts im Weg.
  2. Auf die Vorarbeit nicht vergessen: Risikoanalysen durchführen, Übersetzungsmanagement-Prozesse aufbauen und Translation Memorys bereinigen. 

Mit ein bisschen Hausverstand, Achtsamkeit, angepassten Erwartungen sowie einer soliden Wissensbasis rund um die Thematik lässt sich MT schon heute erfolgreich in die eigenen Sprachmanagement-Prozesse integrieren. Damit lassen sich rasch Vorteile wie gesteigerte Kosteneffizienz und Produktivität, schnellere Turnaround-Zeiten und damit verkürzte Time-to-market, das Erschließen neuer Endverbraucher-Märkte, die Lokalisierung bisher nicht-übersetzten Contents oder eine schnellere und besser verständliche Kommunikation zwischen Mitarbeitern überall auf der Welt erreichen. Klingt doch gut, oder?

Titelbild: © Irina Höll

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